Nacken, Schultern, Rücken verstehen und stärken

Interview mit Daniel Burghard, Physiotherapeut und Leiter der Physiotherapiepraxis Burghard 2.0 in Obernkirchen zum Thema Nacken- und Schultermuskulatur.

So viele Leute klagen immer wieder über ihren Rücken oder über Schmerzen im Schultergürtel. Wie normal sind Rückenschmerzen und Nackenverspannungen eigentlich?

Daniel Burghard: Rückenschmerz und Nackenbeschwerden sind weit verbreitet. Unabhängig vom Alter und Verschleiß leiden weltweit etwa 85% aller Menschen innerhalb ihres Lebens unter Beschwerden in diesem Bereich. 

Das heißt, spätestens im Alter trifft es die meisten, aber manche auch schon früher?

Daniel Burghard: Gerade im Schulter- und Nackenbereich haben auch viele jüngere Leute Probleme.

Woran liegt das denn? Am berühmten „Handynacken“?

Daniel Burghard: Nackenbeschwerden können verschiedenste Gründe haben. Dass sie mit schlechter Haltung zusammenhängen, ist in der Gesellschaft weit verbreitet. Da sind wir dann beim Stichwort „Handynacken“, genau. Eine sogenannte schlechte Haltung gibt aber eigentlich gar nicht. Vielmehr ist es mangelnde Variation und einseitige Haltung, oftmals gepaart mit Einflüssen wie Stress, Sorgen im familiären Umfeld oder auf der Arbeit. Der Einfluss von statischen Haltungen oder Zwangshaltungen ist dagegen geringer. Schmerz entsteht immer dann, wenn das Nervensystem zu der Einschätzung kommt, dass eine Bedrohung für den Organismus besteht.

Wenn wir von einseitiger Haltung sprechen, dann kann man gegebenenfalls vom Handynacken sprechen. Aber es liegt natürlich nicht am Handy, sondern daran, dass ich zu lange in einer Haltung verweile. Genauso gut könnten wir sonst auch vom Tageszeitungsnacken sprechen. Fakt ist, dass die Position selber nicht schädlich ist, sondern einseitige Haltung ohne Abwechslung das Problem darstellt. Unser Körper ist für Bewegung gemacht.

Wenn es also nicht am Handy liegt und ich vor allem nichts anders gemacht habe als sonst, warum zwickt es dann manchmal plötzlich im Nacken? 

Daniel Burghard: Es gibt viele Faktoren. Zum Beispiel Stress, Furcht, Sorgen. Überzeugungen spielen eine Rolle. Wenn ich etwa erwarte, dass mir eine bestimmte Tätigkeit, sagen wir Wäsche aufhängen, Nackenschmerzen bereitet, ist es wahrscheinlicher, dass ich dann auch welche bekomme. Schlafstörungen und Übergewicht wirken sich ebenfalls negativ aus. Und dann natürlich Gewebeveränderungen, aber das ist wirklich nur ganz selten der Fall.

Jetzt habe ich also Nackenschmerzen, warum auch immer. Und nun?

Daniel Burghard: Meistens verschwinden diese Beschwerden rasch und von selbst. 

Ich muss also gar nichts machen?

Daniel Burghard: Sie können eine Menge machen, aber besser schon, bevor die Schmerzen auftreten. Bewegen Sie sich ausreichend in Ihrer Freizeit und sorgen Sie für Abwechslung im Alltag in Sachen Körperhaltung. Ein gutes soziales Klima am Arbeitsplatz ist ein großer Faktor. Und kümmern Sie sich um eine bessere Muskelkraftausdauer der Nackenmuskulatur.

Wie funktioniert das?

Daniel Burghard: Unsere Nackenmuskulatur besteht aus vielen kleinen Muskeln, welche Kopf, Hals und Schultern stabilisieren. Um langfristig weniger Verspannungen im Nackenbereich zu haben, kann man diese gut mit Übungen trainieren. Zum Beispiel mit Shrugs, Frontheben, Dehnung.

Shrugs? Was ist das?

Daniel Burghard: Das sind einfache Bewegungen. Eigentlich ist es nur der englische Begriff für „Schulterzucken“, und im Prinzip machen wir genau das. Nur schön langsam und kontrolliert und bestenfalls mit Gewichten in den Händen. Das können Hanteln sein, aber zwei Wasserflaschen gehen genauso gut.

Und wie geht Frontheben?

Daniel Burghard: Dazu stellen Sie sich etwa hüftbreit hin, die Knie leicht gebeugt. Ihre Arme hängen locker vor dem Körper, mit den Handflächen nach unten. Dann heben Sie beide Arme langsam und kontrolliert gestreckt nach vorne an, bis sie etwa auf Schulterhöhe sind. Achten Sie darauf, dass Sie die Schultern dabei nicht nach oben ziehen, sondern entspannt und tief hängen. Halten Sie die Position kurz und senken Sie die Arme dann wieder langsam ab.

Falls Sie möchten, können Sie leichte Gewichte wie kleine Wasserflaschen oder Hanteln verwenden, aber gerade bei akuten Beschwerden empfehle ich, die Übung erst einmal ohne zusätzliche Belastung auszuführen. Wichtig ist, dass die Bewegung sanft bleibt. Es geht darum, den Körper zu mobilisieren, ohne ihn zu überlasten.

Kann ich dabei etwas falsch machen?

Daniel Burghard: Ja und nein. Sicherlich kann ich es bei Krafttraining oder Bewegungsübungen auch übertreiben. Unser Körper wird uns dies aber im Regelfall sehr schnell klarmachen. Man sollte dann einfach die Übung anpassen. Durch weniger Gewicht etwa und ein angepasstes Bewegungsausmaß. Man darf aber ruhig beim Training etwas spüren.

Was hältst du bei Nackenschmerzen von Kirschkernkissen und Co.?

Daniel Burghard: Wärme hat erst einmal denselben Effekt wie aktive Bewegung und Training. Die Muskulatur wird stärker Durchblutet und dadurch besser versorgt. Als Ergänzung auf jeden Fall eine sinnvolle Geschichte, zumindest bei einer Vielzahl von muskulären Verspannungen, wenn akute Schmerzen vorliegen. Es ersetzt aber nicht die aktive Bewegung beziehungsweise das Training.

Sollte ich mich bei Rücken- und Nackenschmerzen also immer bewegen, auch wenn es gerade akut richtig weh tut?

Daniel Burghard: Ja, Bewegung ist in den meisten Fällen bei Rücken- und Nackenschmerzen sehr wichtig, selbst wenn die Schmerzen akut sind. Früher hat man oft geraten, sich bei akuten Schmerzen zu schonen oder gar Bettruhe zu halten. Heute wissen wir jedoch, dass moderate und kontrollierte Bewegung dem Heilungsprozess förderlich ist. Natürlich heißt das nicht, dass man sofort Vollgas geben sollte. Es kommt auf die Art der Bewegung an. Gut kann zum Beispiel ein kleiner Spaziergang sein oder sanfte Mobilisationsübungen, die wir in der Physiotherapie gerne anleiten. Es ist wichtig, dem Körper die richtige Dosis Bewegung zu geben – nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.

Es gibt natürlich Ausnahmen, zum Beispiel bei schweren Verletzungen oder bestimmten Krankheitsbildern. Wenn die Schmerzen sehr stark sind oder Symptome wie Taubheitsgefühle oder Lähmungserscheinungen auftreten, sollte man unbedingt ärztlichen Rat einholen.

Sind Schmerzmittel okay, wenn‘s richtig schlimm wird?

Daniel Burghard: Nach Möglichkeit sollte immer auf Schmerzmittel verzichtet werden. Schmerz und Bewegung öffnen den körpereigenen Medikamentenschrank im Gehirn. Regelmäßige Einnahme von NSAR – das ist die Medikamentengruppe, zu der unter anderem Diclofenac und Ibuprophen gehören – kann selber sogar zu Kopfschmerzen führen. Als Faustregel gilt hier, dass Schmerzmittel nicht häufiger als zehn Tage im Monat eingenommen werden sollten. 

Bei Rückenschmerzen würde ich auch raten: Wenn sie ohne bekannten Grund auftreten und so schlimm sind, dass ich sie ohne Schmerzmittel nicht aushalten kann, sollte sich ein Arzt oder eine Ärztin das einmal anschauen.

Okay, vielen Dank. Hast du noch ein paar abschließende Tipps?

Daniel Burghard: Die wichtigen Tipps habe ich alle schon genannt: Beweg dich, belaste dich, sorg für Abwechslung in deiner Haltung und versuch, Störfaktoren zu minimieren.